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Das „Sommermärchen“

Das Sommermärchen in der Allianz Arena...
Das „Sommermärchen“: hier die Allianz Arena

Andreas Mitzschke fragt in einem Blog (Schwarz-Rot-Gold 2016), den er im Freitag veröffentlicht hat:

»Was ist los mit Deutschlands Sommermärchen?«

Ich denke, dass die Antwort auch etwas damit zu tun hat, wie sich die Dinge in den letzten 10 Jahren entwickelt haben, bzw. entwickeln mussten, weil das unter den gegebenen Bedingungen gar nicht anders zu erwarten war. 2006, da war die Lehman Brothers Welt noch in Ordnung, und die Welt bereit, an die Märchen zu glauben, mit der neoliberale Vorbeter uns auf die Narrative der kommenden Dekaden eingestimmt haben. Dazu gehörte ein gewandeltes Deutschland, vor dem sich weder die Griechen, noch die prekär Beschäftigten fürchten sollten, weil dieses Deutschland Märchen über alles liebt und selber märchenhaft freundlich geworden ist. Heute nun kommt der große, böse Wolf. Die italienischen Liebhaber, die unsere Latin Lover Phobien stimulieren weil sie die Mädchenherzen höher schlagen lassen…

Wie dem auch sei: Unsere großartige Fußballnation konnte, wie wir alle wissen, leider bislang noch niemals einen Turniersieg gegen die Mannschaft unserer ehemaligen Gastarbeiter erringen. Und da heute dieses „Schicksalsspiel“ Deutschland – Italien stattfindet, soll das für mich die Gelegenheit sein,  der Welt meinen Kommentar zu dieser weltbewegenden Frage von Andreas Mitzschke auch an dieser Stelle nicht vorzuenthalten.

Was los ist mit Deutschlands Sommermärchen

Ich glaube, dass es ganz einfach ist, die Frage plausibel zu beantworten: Lügen haben kurze Beine. Und wenn das ganze Volk belogen wird, und wenn, um Reibach zu machen zusätzlich auf der sentimentalen Klaviatur eines Nationalgefühls gespielt wird, dem man echte Werte, ehrliche Inhalte zu Grunde legen müsste, damit es kein Fundament aus Sand darstellt, dann darf man sich nicht wundern wenn das dabei heraus kommt, was dabei heraus gekommen ist: Angefangen bei Pegida und noch lange nicht zu Ende bei den Brandsätzen gegen Flüchtlingsunterkünfte, der unseeligen Debatte um die AfD oder dem rechten Rand der rechts von der CSU in Deutschland keine Heimat mehr finden sollte.

Das Problem ist, dass der Schein, (von dem Mitzschke spricht)  „die Deutschen könnten ohne nationalistische Deutschtümelei und völkische Rassenidiotie ihr Land und seine Nationalfarben feiern“ kaum mehr war, als kalkuliertes und nüchternes Geschäftsgebaren und die neue Möglichkeit „wieder stolz sein auf sein Land“ zu sein, von vorne herein kaum mehr, als unerfüllte Sehnsucht, Nachholbedüfnis und als solches ein profitables Verkaufsargument.

Und ich glaube auch nicht (wie Mitzschke), dass die Welt 2016 ganz anders aussieht. Es ist einfach so, dass die Leere der Gefühlsklischees offensichtlich wird, die in dem Moment, als sie für bestimmte Zwecke gebraucht und gezielt angesprochen wurden, genau so echt gewirkt haben, wie bei jedem gut inszenierten Hollywood Kino. Und die alle für Realität gehalten haben. Natürlich stecken Sehnsüchte dahinter und auch Wahrheiten. Aber wenn die Wahrheit nicht über die Sensationen hinaus gehen, die das Kino ausgemacht haben, dann zerplatzen die Träume irgendwann und lassen Leere zurück. Wie das auch in Hoppers berühmtem Bild Nighthawks zum Ausdruck kommt.

Sicher waren es keine amerikanischen Träume, die geplatzt sind, es waren deutsche Träume und Sehnsüchte. Aber die Mechanik ist in meinen Augen die gleiche: Versprechungen eines Traums, den man mit wirklichen Inhalten und gelebten Werten hätte füllen müssen, wenn er sein Versprechen halten soll. Das ist nicht geschehen, das konnte auf dieser Basis gar nicht stattfinden. Weder war das so genannte Sommermärchen ein Märchen im positiven Sinn, sondern eine Lügengeschichte, noch konnte es die Werte ersetzen, nach denen sich das Volk als Ganzes immer noch sehnt. Und die so lange unerfüllt bleiben, werden, bis man sie als die eigentlichen Werte anerkennt. Was wir an Enttäuschung real erleben, ist die Realität jenseits der Scripted Reality, die damals stattgefunden hat. Eine Illusion, die zur Normalität geworden ist und die von den Medien damals wie heute begeistert aufgegriffen wird.

Geblieben sind die Sehnsüchte. Und die Herausforderung, auf diese Sehnsüchte wirklich eine angemessene Antwort zu finden ist immer noch die Gleiche. Aber es wird niemanden geben, der sich ihr ernsthaft stellen wird.

Europa’s Meister

Ganz Europa geht an’s Leder
Flucht nach vorn in die EM
darauf wartet wirklich jeder
30 Tage voll plemplem

aus den Unterkünften steigen
bunte Helden beinhart auf
die uns ihre Blöße zeigen
doch das nimmt man gern in Kauf

In der allerhöchsten Liga
Fußball, König Pontifex
werden Mannschaftsführer Brüder
ohne Ödipuskomplex

lieben Wohlstandsbürgerkasten
endlich ihr Prekariat –
um Volumen auszulasten
lebt das Volk für Vater Staat

Meilensteine für die Freiheit
für die Fans, den Ball das Geld
gönnt Europa sich die Ausszeit
bleibt der Mittelpunkt der Welt